Der Schweinehirt von Breitenbrunn
 
 
Im Jahre 1956 ging in Breitenbrunn ein Stück Dorfgeschichte zu Ende. Peter Blank, der letzte Schweinehirt im Dorf, trieb die Tiere letzmals zur Weide in den Wald. Wie aus dem Protokollbuch der Gemeindeverwaltung (1908-1924) zu erfahren ist, hat er am 22.Februar 1915 seine Dienstzeit begonnen. Ausgerüstet mit einem zerbeulten Horn und einer Peitsche, begleitet von einem schwarzen Hirtenhund trieb er werktags im Sommer um 6.30 Uhr, im Herbst und Frühjahr um 8.00 Uhr und im Winter um 12.00 Uhr eine stattliche Herde in den Gemeindewald. Am Abend brachte er die Tiere wohlbehalten zurück.
 
Breitenbrunn war neben Schollbrunn einer der letzten Spessartorte, die das alte Recht der Waldweide nutzten. Wann Breitenbrunn dieses Recht erhielt, lässt sich kaum mehr ermitteln, vielleicht schon zur Zeit seiner Entstehung. Der Weidegang der Schweine, besonders zu "Eckerichs-Zeiten" (=Eichel - und Bucheckernmast im Herbst) war für die Ernährung der Tiere, und damit auch der Bevölkerung, von großer Bedeutung.
 
Erzbischof Berthold von Henneberg, von 1484-1504 Kurfürst von Mainz und damit Landesherr, erlaubte schon in seinem ersten Regierungsjahr 1484 den Orten "Altenpuch, Newenpuch und Breydenbronne der dreyer dorffer eins" )=gemeinsam) ihre Schweine während der Zeit der Eichelmast auch nachts im Wald belassen zu dürfen, um den weiten Trieb zu ersparen. Dazu waren Pferche erforderlich, in denen man die Schweine vor Raubwild schützen konnte. So erfährt man erstmals vom Recht der Waldweide in Breitenbrunn (Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Urkunden, Weltl.Schrank 28/147).
 
In den folgenden beiden Jahrhunderten sind keine Unterlagen über den Schweineaustrieb aus Breitenbrunn bekannt. Dagegen sind zahlreiche Schriftstücke aus Stadtprozelten erhalten geblieben, in denen alte Rechte eingefordert werden. Dabei wird immer wieder auf den "sonderbahren begnadt und freyhungsbriff, sub dato den 2 te May 1423" verwiesen. Darin war Stadtprozelten und Dorfprozelten, Altenbuch, Neuenbuch und dem Hof Wildensee ein sehr großzügiges Weiderecht zugestanden worden.
 
Dieses gleiche Recht "Ihnen Faulbacher, Breitebrunn, undt Gußhoffer gegen dergleichen Zewgnition (=Auflistung) den freyen Einschlag (=Eintrieb) ihrer S.V.Schwein (salva venia=mit Verlaub gesagt: Schweine) zu Eckherichs Zeithen (=während der Eichelmast) ebenmäßig gedeyhen zulaßen" war offensichtlich der Inhalt eines Bittschreibens an den Landesherrn in Mainz, den Kurfürsten Anselm Franz von Ingelheim. In einem Antwortschreiben vom 9.Nov.1681 wird diese Bitte gewährt.
Allerdings sind einige Vorschriften einzuhalten: Es dürfen nur solche Schweine eingetrieben werden, die "uff der eigenen Misten" erzogen sind, und es muß jährlich eine Liste erstellt werden aus der ersichtlich ist, wer wieviele Tiere eintreiben darf. Breitenbrunn und die Gußhöfe müssen die Schweine abends wieder heimtreiben. Wegen des weiten Weges darf Faulbach seine Tiere in einem Pferch übernachten, der in Altenbuch oder Breitenbrunn, aber außerhalb des Waldes errichtet sein muß.
 
Es gilt der gleiche Weidebereich, der auch für Stadt- und Dorfprozelten, Alten- und Neuenbuch im "begnadt und fryhungsbrieff" von 1423 beschrieben ist: "im Waldt deß Speßhardt, vom Eißern Pfahl ahn über und über, bieß gegen dem Hundtsrück und Kraußenbach, von dannen gegen den Hockhenbrunn, bey und uffem Alberg und Windtsbruch gegen Schollbrunn, Item Kirchelhoff, und Faulbacher Wettstein, beym Krohe- und Erlenbrunnen, auch sonstenallenthalben, uff und ab, über und wieder, waß und wieweith mann mit den Schweinen gelangen können ..."
 
Für dieses Recht werden einmalig "... Ein Hundert, undt fünftzig Gulden ..." berechnet. Jährlich sind außerdem "Zwey Gülten" Dehm-Geld (=Abgabe bei Weidrechten, auch dhöm oder dehem genannt) zu zahlen. "Eß seyn gleich äckerig vor Handten, oder nit" (=ob ein Jahr mit reicher Eichelmast ist oder nicht). (Staatsarchiv Würzburg, MRA LG 4380)
 
Wahrscheinlich war das Recht, die Eichelmast zur Schweineweide nutzen zu können, damals arg mißbraucht worden. Nur so ist ein Schreiben von Erzbischof Johann Schweickhardt von Kronberg vom 26.Sept.1605 an den Amtskeller Jacob Faber in Stadtprozelten zu verstehen. In diesem Schreiben wird dieser verpflichtet, persönlich darauf zu achten, daß nur die berechtigte Anzahl von Tieren zur Eichelmast getrieben wird. Dazu mußten jährlich Auflistungen eingereicht werden. Sie finden sich zum Teil noch im Stadtarchiv Stadtprozelten. Für Breitenbrunn ist die Auflistung aus dem Jahr 1687 erhalten (Stadtarchiv Stadtprozelten, Bd.34, 1720):

"Frey Schwein so von Braitenbrunn im Speßart Zum geEckerich EinZuschlag (en) sein Anno 1687.
Hl: (=Hochlöblicher) Schultheiß 2 Stückh
Beide Burgermeister 4
1 Centh Schöpff 2
6 Gerichts Persohnen 12
4 Landtschieder 8
2 Hirdten 4
Dem Heimerich 2
2 Schätzer 4
Dem Schulmeister und Glöckner 4
2 Heiligenmeister 4
beide Gußhoffbauren 4
Gemeinde Nachparen und Wittiben 27
Jedem 1 Thl. (=Teil, Stück)  
Su.
77 Stückh.
 
Auch aus den übrigen Gemeinden sind die Berechtigungslisten für das Jahr 1687 erhalten. So läßt sich die Gesamtzahl der eingetriebenen Schweine ermitteln:
 
"Frey-Schweine 1687:"
Stadtprozelten 153 Tiere
+ Spital 13
Dorfprozelten 149
Unteres Gericht (=Unteraltenbuch) 64
Oberes Gericht (=Oberaltenbuch) 24
Neuenbuch 28
Breitenbrunn 77
Faulbach 133
Su.
641 Tiere
(Hofthiergarten und Wildensee sind nicht genannt).

Eine Auflistung des Kellers vom Amt Prozelten aus dem Jahr 1731 unterscheidet (Staatsarchiv Würzburg, MRA 4380):
 
"Summarische Billanca

  Beym Trog Erzogene gekauffte Näherschwein
Stadt Prodtselten 105 47 -
Hofthiergarten 16 - -
Dorff Prodtselten 211 - -
Newenbuch 27 - -
Wildtenseher Hoff 10 2 -
Altenbuch 168 48 -
Breitenbrunn 78 25 58
Faulbach 268 43 -
Summa 883 165 58
Suhmmarum 1106 Stückh."    
 
Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, daß sich Breitenbrunn schon im 18.Jahrhundert auf die Schweinezucht verlegt hatte. Immerhin gab es damals im Ort 58 Mutterschweine. Die anderen Dörfer hatten damals keine Muttertiere. Die Schweinezucht war noch in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts üblich.
 
Trotz genauester Vorgaben und Verordnungen gab es immer wieder Differenzen zwischen den Gemeinden und dem Kurmainzer Forstpersonal. Etwa 1000 Tiere waren ja auch eine beachtliche Herde. Ein Problem für die Bauern waren die langen Eintriebswege, denn nicht jedes Jahr trugen die Eichen und Buchen in der Nähe Früchte. So finden sich immer wieder Bittschriften: Die hohen Beamten mögen die Nächtigung im Wald gestatten. In einem Gesuch der "Statt Protselden vom 22 te 7 bris 1666" an den "Herrn Vicedhomb zue Aschaffenburg umb Verwilligung eines stalls" ist zu lesen:
 
"Demnach das Dieß Jährige GeEckerich Im Speßardt, unß nach der hergebrachten gerechtigkeit zuebesuchen Zimlich weith Entlegen allermaßen es in der nähe gantz keine Mastung gibt, dahero dann Täglich bey Sonnenschein, mit den s.v.(=salva venia=man möge den Ausdruck entschuldigen) Schweinen nicht Auß- und Einkommen können; Alß haben Ew: gl.wir hirmit gantz underthänig Pitten sollen, dieselbe wolten geruhen gl:Zu Erlauben, das wir doch umb Ein billig und leidentliches geldt, Einen stall in Ermeltem Speßhardt, an Einem Unschädtlichen orth, nur mit undüchtigen alten umbgefallenen Rahnen und Reißig machen dörften." (Stadtarchiv Stadtprozelten, Bd.34, 1720)
 
Die Nächtigung der Herde im Wald war vermutlich deshalb unerwünscht, weil die wichtigste Nutzung des Spessarts in der Mainzer Zeit den Hofjagden galt. Schweineherden beunruhigten das sorgsam gehütete Wild. Wahrscheinlich nahmen es die Gemeinden mit der Abgabe des Dehem-Geldes nicht so genau; wenigstens zeitweise. Nur so läßt sich ein Beschwerdeschreiben der Gemeinde Faulbach vom 21.November (9bris) 1739 gegen den Keller Koch zu Rothenbuch verstehen: Er habe ihnen "39 Schweine aus der Herde fangen lassen und zwar mit solch roher Gewalt und unordnung, dass davon andtern tags einige crepiret , dndtere Etwa beyläuffig 10 stück irr und abgang". Grund für diesen Vorfall war, dass das Amt Prozelten das "Därrengeld" (=Dehem) für 1731 noch immer nicht bezahlt hatte (Staatsarchiv Würzburg, MRA 4380).
 
Aus der Zeit des gemeinsamen Schweineaustriebes im 17.und 18.Jahrhundert könnten auch die noch erhaltenen Setzsteine um die Breitenbrunner Krautgärten stammen. Die kürzeste Verbindung zwischen Faulbach und Breitenbrunn war der Dornheckenweg, der durch die Krautgärten führte. Doch auch der Fuhrweg durch die Hohle ist in alten Karten eingezeichnet. Dieser Weg führt ebenfalls an Krautgärten vorbei, dn denen heute noch Setzsteine stehen. In beiden Flurbereichen schützten die Steinplatten vor den auch unterwegs wühlenden Schweinen. Von Breitenbrunn aus ging es dann über den bekannten Sautrieb in den Spessart.
 
Über den Schweineaustrieb im 19.Jahrhundert finden sich nur wenige Aufzeichnungen. Vermutlich setzte der bayerische Wildpark, der in den Jahren 1820-1824 gebaut wurde, den alten Weidegepflogenheiten gewisse Grenzen. Dieser Park deckte sich weitgehend mit den im "begnadt und freyhungsbrieff" von 1423 vorgegebenen Beweidungsgranzen (Weiß 1999). Es ist anzunehmen, daß die Bauern daraufhin ihre Schweine in den eigenen Breitenbrunner Gemeindewald treiben ließen, jedenfalls war dies, soweit man sich zurückerinnern kann, so üblich.
 
Seit 1894 kennt man die Namen der Schweinehirten, die vom jeweiligen "gemeinen Tag" (=jährlcih stattfindende Gemeindeversammlung) gewählt worden waren:

Schweinehirten in Breitenbrunn
13.11.1894 Johann Neidig aus Röttbach trat die Stelle nicht an
08.12.1894 Karl Wießmann aus Altenbuch ab 22.2.1895
06.12.1895 Johann Lehrmoser ab 22.2.1896
10.12.1897 Friedrich Schneider ab 22.2.1898
11.11.1900 Johann Schmitt ab 22.2.1901
17.06.1901 Anton Schärger ab 17.6.1901
10.10.1904 Benedikt Kohlrieser aus Schollbrunn ab 22.2.1905
10.08.1906 Georg Schmitt aus Bergrothenfels trat die Stelle nicht an
10.12.1906 Peter Straub ab 22.2.1907
? Andreas Schreck ab 22.2.1909 bis 1914
27.10.1914 Peter Blank ab 22.2.1915 bis 1956

Von Peter Blank ist der Arbeitsvertrag vom 27.10.1914 erhalten geblieben, dazu die Änderungen vom 2.1.1919 (Protokollbuch der Gemeindeverwaltung Breitenbrunn, 1908-1924. Eintrag vom 27.10.1914):
 
"Breitenbrunn, den 27.Oktober 1914
Präsent: Die Gemeindeverwaltung
In der heutigen Sitzung wurde als neuer Hirt Peter Blank unter folgenden Bedingungen gedungen:
Die Dienstzeit beginnt mit dem 22.Februar 1915 und endigt am gleichen Tage des Jahres 1916.
Sollte bis Michaeli 1915 von keiner Seite gekündigt sein, so verlängert sich die Dienstzeit um ein weiters Jahr.
Der Hirte haftet für jeden Schaden, der den Tieren beim Ein- und Austreiben durch Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit des Hirten entsteht.
Die Schweineherde muß so gehütet erden, daß kein Schaden entsteht. Jede Ruge und jeden Schadenersatz, der durch das Hüten verursacht wird, hat der Hirt zu tragen.
Als Lohn erhält derselbe pro Jahr 18 Ztr.Korn; ferner hat derselbe das Recht, bei den Schweinebesitzern 2 Umgänge, nämlich Martini und Neujahr zu halten. Ferner tritt derselbe in den Genuß der Dienstgründe und der Dienstwohnung.
In den Sommermonaten Juni mit August hat der Hirt um 1/2 7 Uhr, in den Frühjahrs- und Herbstmonaten um 8 Uhr und in den Wintermonaten um 12 Uhr auszutreiben.
Der Hirt übernimmt auch den Nachtwächterdienst und erhält fürs Jahr 85 M, in W.: Fünfundachtzig Mark.
Der Hirt erhält vom Verkauf eines jeden Schweines 10 Pf.Trinkgeld. Desgleichen darf er, wenn ein paar Schweinen zum Triebe gewöhnt werden, 10 Pf.pro Stück verlangen und wenn ein Schwein zum Eber geführt wird, sind ihm 20 Pf.zu bezahlen.
Die Gemeinde behält sich das Recht vor, dem Hirten bei grober Pflichtverletzung sofort zu kündigen.
Lt. vl.: (=laut vorgelesen)
Die Gemeindeverwaltung:
Glock, Bgmstr.
Rohe, Beigeordtr.
Karl Fecher
Edmund Platz
Thomas Hörnig
Franz Hegmann"
 
In der Sitzung der Gemeindeverwaltung vom 2.Januar 1919, wurde der Vertrag mit Peter Blank verlängert. Es wurden einige Änderungen angefügt:
 
Für das Nachtwächteramt werden 120 Mark bezahlt "Vierteljährlich erhält derselbe von jedem Hausbesitzer 40 Pf. für Nachtwache" zusätzlich. Der Hirt übernimmt auch "Das Amt des Wiesenmeisters und des Totengräbers". "Als Leistung muß die Gemeinde noch sämtliche Kassenbeiträge bezahlen und ihm die Hundesteuer erlassen. Ferner erhält derselbe noch jährlich ein Los Reißig".
 
Wie eingangs schon gesagt, trieb Peter Blank seine Schweineherde 1956 letzmals in den Wald. Nur zwei Jahre später, 1958, verstarb er. In Breitenbrunn hatte man ihn liebevoll den "alten Peter" genannt.
 
Ein kleines Ereignis soll die Erinnerung an ihn wachhalten, die Begegnung mit dem damaligen Würzburger Bischof:

Schweinehirt und Oberhirte
 
Bischof Julius Döpfner wanderte gerne, auch im Spessart. In Breitenbrunn war es . Der Abend neigte sich schon. Die Bauern fuhren mit ihren Kuhgespannen vom Feld heim, denn die Ave-Glocke hatte schon den Abend eingeläutet.
 
Vom Sandacker her trieb der Schweinehirt seine Herde dem Dorf zu. Ihm hatte der Tag keine Sorgen gebracht. Die Tiere waren friedlich gewesen, hatten nach Eicheln, Bucheln, Insektenlarven und Pilzen unter dem trockenen Laub gewühlt und zwischendurch nach Schweineart dahingedöst. Ein schönes Leben für sie, wenn nicht der Heimweg gewesen wäre und der enge, muffige Stall für die NAcht.
 
Von der Kodtwihs-Wiesen her kam die hochwürdige Wandergruppe. Bei der Holzsäge ar das unerwartete Zusammentreffen mit der Schweineherde. Eine einmalige Begegnung, denn es gab zu dieser Zeit nur noch wenige Dörfer im Spessart, die das jahrhundertealte recht der Waldweide nutzten.
 
Auf dem Weg durchs Dorf blies der Säuhirt, wie man ihn hier nannte, immer wieder in sein Horn. Jeder Bauer kannte den Ton und öffnete den Schweinestall. Bei der Linde waren dann die letzten Schweine abgeliefert worden. Das Gespräch zwischen dem Schweinehirten und dem ihm nicht bekannten Oberhirten der Diözese Würzburg wird so erzählt:
 
"Wie war es heute? Treiben sie die Tiere an jedem Tag in den Wald? Schweinehirt ist ihr Beruf? Wer bezahlt sie für ihre Arbeit? So, jeder Bauer muß für seine Tiere bezahlen? Was kommt da im Monat zusammen?", ging das Gespräch hin und her. "Knapp 200 Mark; es reicht gerade so zum Leben", war die Auskunft des Schweinehirten.
 
Daraufhin Bischof Julius, der immer noch unerkannt war: "Ich bin auch Hirte, aber ich verdiene doch wesentlich mehr." Schlagfertig, logisch die Antwort: "Dann hast du bestimmt mehr Säu als ich!"

 
(Aus: Müller Winfried und Weiß Josef: Zum Vergessen zu schade: Geschichten aus dem Landkreis Miltenberg. - 1993).


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